Zwischen Maulkorb, Machtspiel und Modernisierung – Das Diensthundewesen Brandenburg unter der Lupe
Von Karl‑Heinz Klöpper, unabhängiger Fachautor & Kynologe (DOGINARE)
1 | Warum dieser Bericht?
Tierschutz oder taktische Notwendigkeit? Seit 2022 streiten Politik, Polizei und Fachwelt über die Zukunft der Brandenburger Diensthundausbildung. Dieser Beitrag sammelt alle bekannten Sachverhalte – ohne Generalverdacht, aber auch ohne Weglassen unbequemer Details. Ich stehe hier nicht als Hater oder Kronzeuge in eigener Sache, sondern als neutraler Chronist mit 40 Jahren Dienst- +Diensthunde‑Praxis.
2 | Chronik der Kontroverse
Datum | Ereignis |
---|---|
09.02. 2022 | 34. Sitzung Innenausschuss: „Auswirkungen der neuen TierSchHuV auf die Diensthundeausbildung“ – Innenminister Michael Stübgen hält Stachel‑ & Würgehalsbänder für „weiterhin notwendig“. |
08.06. 2022 | 38. Sitzung: Dr. Heidrich (Landestierschutzbeauftragter) nennt die Hilfsmittel tierschutzwidrig; verweist auf NRW als positives Beispiel ohne Leistungseinbußen. |
2023 | Erste Eingaben an die neu gewählte Polizeibeauftragte: Vorwürfe zu Mobbing, Tierquälerei, Prüfungsbetrug & Einschüchterung. |
01.01. 2024 | Zentralisierung des Diensthundewesens beim Polizeipräsidium; Ankauf & Ausbildung nach „einheitlichen Kriterien“. |
22.10. 2024 | Arbeitsgespräch DBD – Vorstellung neuer Konzeptentwürfe Diensthundewesen & Aus‑/Weiterbildung. |
Protokolle & Sitzungsdokumente stehen offen in der Parlamentsdokumentation des Landtags Brandenburg: https://www.parlamentsdokumentation.brandenburg.de/portal/browse.tt.html
Protokolle & Sitzungsdokumente stehen offen in der Parlamentsdokumentation des Landtags Brandenburg: https://www.parlamentsdokumentation.brandenburg.de/portal/browse.tt.html
Zusätzliche Protokolle:
3 | Konkrete Vorwürfe & mutmaßliche Verstöße
Die folgenden Passagen basieren auf Eingaben betroffener Diensthundeführer, Ausschussprotokollen sowie mündlichen Berichten an die Polizeibeauftragte. Bis zur abschließenden gerichtlichen Klärung gelten alle Personen als unschuldig – doch die aufgeführten Sachverhalte zeichnen ein Bild, das nicht ignoriert werden darf.
Die Sitzung vom 09.02.2022 enthielt Berichte über die Verwendung von Stachelhalsbändern in der Ausbildung der Brandenburger Polizei. Innenminister Stübgen betonte ausdrücklich, dass diese Geräte „über Jahrzehnte hinweg bewährt“ seien und weiter notwendig blieben – insbesondere bei Schutzhunden. Dies widersprach klar der Position des damaligen Landestierschutzbeauftragten Dr. Heidrich, der sowohl die rechtliche als auch die ethische Legitimation dieser Hilfsmittel in Zweifel zog.
In der 38. Sitzung am 08.06.2022 wurde erstmals in dieser Deutlichkeit auf Alternativen verwiesen, die in Nordrhein-Westfalen oder anderen Ländern bereits erfolgreich etabliert waren. Insbesondere kritisierte eine eingeladene Tierärztin die duale Ausbildung von Hunden (zuerst Schutzdienst, dann Spezialisierung) und empfahl, dieses System zu überarbeiten.
Diese fachlichen Differenzen spiegeln sich später in den Eingaben an die Polizeibeauftragte wider, die über:
- gezielte Überforderungen in Prüfungen,
- massive psychische und strukturelle Repressalien,
- mutmaßliche Fälschungen von Leistungsbewertungen,
- dokumentierte Spuren von Misshandlungen bei zurückgegebenen Hunden,
- systematischen Einsatz getarnter Stachelhalsbänder
berichteten.
3.1 Schmerz als Werkzeug – problematische Hilfsmittel
In mehreren Staffeln sollen Stachelhalsbänder (mit herausragenden Metallstiften) weiterhin fester Bestandteil des Grundgehorsams gewesen sein. Beamte berichten, dass die Halsbänder teilweise „enttarnt“ wurden – also mit Nylon‑Überzug oder schwarzer Folie versehen, um sie bei Kontrollen weniger auffällig zu machen. „Siehe Parlamentsdokumentation, 08.06.2022, PDF S. 12–15.“
Beispiel: Ein junger Malinois schreit auf, sobald er beim Fußgehen zurückfällt. Laut Zeugenaussage „lernte“ der Hund so binnen weniger Tage, dauerhaft auf Zug am linken Oberschenkel zu laufen – allerdings um den Preis massiver Hautirritationen im Halsbereich.
Ebenso kamen Würge‑ und Kettenhalsbänder ohne Stopp zum Einsatz. Bei Belastung ziehen sie sich zu, bis die Atmung des Hundes beeinträchtigt ist. In Kombination mit „verstärkten Leinenzügen“ – Karabiner wird zusätzlich durch einen Metallring geführt – entsteht ein potenter Schmerzreiz, der laut TierSchG § 17 als „erhebliche Leiden“ gewertet werden kann, wenn er systematisch genutzt wird.
3.2 Wenn Training zur Tortur wird – fragwürdige Methoden
Verbeißen in stehende Personen: Anstelle des heute üblichen „Fass & Lass“-Schemas wurden Hunde laut Beschwerdeberichten so lange fest am Figuranten belassen, bis dieser unter Schmerzen zu Boden ging. Erst danach erfolgte das Abrufen. Der Lerneffekt: Der Hund verknüpft Erfolg mit Maximaldruck, nicht mit kontrollierter Abbrucharbeit.
„Dranbleiben“ an liegender Person ohne Gesichtsschutz: In Ausbildungslagen mussten Helfer am Boden ausharren, während der Hund weiter zupackte – teilweise im Kopf‑/Schulterbereich. Mehrere Diensthundeführer äußerten Bedenken, da bereits leichte Kopfdrehungen schwerste Gesichtsverletzungen nach sich ziehen können. Trotzdem habe man den Lehrwarten zufolge „die Aggression oben halten“ wollen.
Überforderungs‑Prüfungen: Ein besonders gravierender Vorwurf betrifft die absichtliche Überforderung einzelner Teams. Hunde wurden in Szenarien geschickt – z. B. Mehrfachtäter‑Suche in völliger Dunkelheit mit Feuerwerkskörpern –, obwohl der Ausbildungsstand dies objektiv nicht hergab. Fiel das Team durch, wurde der Hund eingezogen, der Hundeführer verlor seinen Posten. Ein Betroffener sprach von einer „vorher angekündigten Hinrichtung“.
3.3 Systemische Defizite – mehr als Einzelfälle
Manipulierte Leistungsabnahmen: Mehrere Quellen beschreiben „Schattenprüfungen“, bei denen Ergebnisse vorab abgesprochen wurden. Fehlbisse, mangelnde Griffhaltung oder Nervosität wurden inoffiziell „weggesehen“, um statistisch eine 100‑Prozent‑Quote zu wahren. Andersherum, so der Gegenvorwurf, wurden missliebige Beamte durch besonders schwere Prüfszenarien gezielt scheitern gelassen.
Mobbing & Einschüchterung: Kritische Nachfragen führten laut Zeugenaussagen zu Drohungen: „Wenn du das meldest, ist dein Hund weg.“ Betroffene schildern Psychodruck, Versetzung in Reviere ohne Hund oder das Einfrieren jeglicher Fortbildungsmöglichkeiten. Dieser Klimafaktor erscheint besonders toxisch, da der Hundeführer im Zweifel zwischen Loyalität zum Tier und Karriereangst steht.
Beschaffungschaos: Vor der Zentralisierung wurden Hunde teilweise von Zwischenhändlern gekauft, deren Gesundheits‑ und Wesenstests fragwürdig waren. Ein Händler meldete, ein nach acht Wochen zurückgegebener Rüde habe eitrige Narben an Hals und Flanken gezeigt – mutmaßliche Spuren unsachgemäßer Hilfsmittel.
Fall „Hund am Zaun“: Der wohl plakativste Vorgang. Nachdem ein Hund zwei Prüfungen nicht bestand, sollte der Züchter ihn kostenfrei zurücknehmen. Als er sich weigerte, drohte ein Verantwortlicher, man werde das Tier „an den Zaun binden“. Erst unter diesem Druck holte der Züchter – laut eigener Aussage – einen „psychisch gebrochenen“ Hund ab.
Fehlende Lehrwart‑Qualitätssicherung: Lehrwarte rotieren zwischen Bundesländern, doch ein einheitliches Kompetenzprofil fehlte lange. Viele Ausbilder verließen sich auf Methoden von „vor 30 Jahren“, weil Fortbildungen zu modernen, positiv basierten Techniken entweder als „Soft‑Dogging“ verspottet oder gar nicht angeboten wurden.
In Summe ergibt sich ein Bild, in dem einzelne Hilfsmittel und Methoden nicht isoliert zu betrachten sind. Sie hängen an einem strukturellen Geflecht aus Hierarchie, Leistungsdruck und mangelnder Fehlerkultur – ein Ökosystem, in dem der Hund häufig der Leidtragende ist.
4 | Einsatzmittel Hund – Statistik versus Realität
Bis Dezember 2023 keine systematische Erfassung von Diensthund‑Beissvorfällen. Auf Nachfrage der Polizeibeauftragten „händisch ermittelte“ 9 Fälle in 3 Jahren – Bürger*innen und Polizeibedienstete betroffen, Schweregrad teils unbekannt.
„Es darf bei Hundebissen keinesfalls vom harmlosen äußeren Aspekt auf geringen Gewebeschaden in der Tiefe geschlossen werden.“ – Rothe (2015), Deutsches Ärzteblatt (https://www.aerzteblatt.de/archiv/tier-und-menschenbissverletzungen-2fdc0f37-98ce-4091-bab5-e51993b92416)
Seit 01.01. 2024 werden Beissvorfälle zentral erfasst – ein Schritt in die richtige Richtung, aber: Ohne differenzierte Analyse von Verhältnismäßigkeit & Folgekosten (OP, Reha, Dienstunfähigkeit) bleibt die Statistik blind.
5 | Reformschritte – Fortschritt oder Feuerwehr?
Positiv
- Abschaffung sichtbarer Stachelhalsbänder 2024 bestätigt.
- Bundesweite Marktschau + klare Ankaufs‑Checkliste.
- Lehrwarte‑Schulung bei LPA Sachsen‑Anhalt & Berlin.
- Fachvortrag „Schmerzen beim Hund erkennen“ (16.12. 2024) an der LAköV.
Offene Baustellen
- Externe Audits der neuen Ausbildung fehlen.
- Kultureller Wandel (Fehlerkultur vs. Nestschutz) noch nicht belegt.
- Mobbing‑Vorwürfe gegen Einzelpersonen bislang nicht gerichtlich geklärt.
- Langfristiger Wirksamkeitsnachweis der Reformen ausstehend.
6 | DOGINARE‑Analyse & Forderungen
- Null‑Toleranz für tierquälerische Hilfsmittel – modernes Schutzdienst‑Coaching funktioniert ohne Stahl im Hals.
- Whistleblower‑Schutz in Hundestaffeln verankern.
- Transparente Prüfungsprozesse – Kamera, externe Prüfer*innen, fälschungssichere Protokolle.
- Verhältnismäßigkeits‑Matrix für jeden Hundeeinsatz (analog Einsatz von Reizstoff oder Distanzelektroimpulsgeräten).
- Medizinisches Biss‑Register mit standardisiertem Wundmanagement & Follow‑Up.
Dienst am Hund heißt Dienst am Vertrauen.
Wer Schmerzen als Methodenersatz nutzt, hat die Kontrolle schon verloren.
7 | Weiterführende Quellen & Links
- Parlamentsdokumentation Landtag Brandenburg (öffentliche Protokolle): https://www.parlamentsdokumentation.brandenburg.de/portal/browse.tt.html
- Ärztliche Einschätzung zu Tierbissen: Rothe (2015) Tier‑ und Menschenbissverletzungen, Deutsches Ärzteblatt: https://www.aerzteblatt.de/archiv/tier-und-menschenbissverletzungen-2fdc0f37-98ce-4091-bab5-e51993b92416
- TierSchG & TierSchHuV im Wortlaut: https://www.gesetze-im-internet.de/tierschg/ | https://www.gesetze-im-internet.de/tierschnutztv_2021/

Der Begriff „doppelter Abschwung“ im Beitragsbild steht sinnbildlich für zwei parallel verlaufende Entwicklungen im Brandenburger Diensthundewesen, die beide negativ konnotiert sind:
1. Ethisch-tierschutzrechtlicher Abschwung
Trotz klarer Signale aus der Fachwelt, der Tierärzteschaft und sogar von Tierschutzbeauftragten wurden über Jahre hinweg weiterhin tierschutzwidrige Methoden und Hilfsmittel eingesetzt – darunter Stachelhalsbänder, Kettenwürger ohne Stopp und Trainingsmethoden, die mit dem aktuellen Stand der Ethologie nicht vereinbar sind. Der moralische und gesetzliche Anspruch wurde systematisch unterlaufen.
2. Institutionell-struktureller Abschwung
Gleichzeitig wurde das Vertrauen in die Dienststruktur erschüttert – durch Berichte über Mobbing, Einschüchterung, manipulierte Prüfungen, Missstände beim Hundeankauf und eine mangelnde Fehlerkultur. Wer Missstände meldete, wurde isoliert oder aus dem Diensthundewesen gedrängt.
Schlusswort
Brandenburg hat begonnen, die alten Zäune abzureißen. Jetzt muss es beweisen, dass dahinter keine neuen Mauern entstehen. Diensthunde sind Hochleistungspartner – keine Wegwerfwerkzeuge. Wer das versteht, braucht keinen Stachel, keinen Würger und kein Schweigekartell.
Ende
*„Dieser Beitrag basiert auf öffentlich zugänglichen Sitzungsprotokollen des Landtags Brandenburg sowie auf Zeug:innenberichten. Sämtliche Sachverhalte wurden nach bestem Wissen und Gewissen recherchiert. Sollten sich Fehler eingeschlichen haben, bin ich jederzeit bereit zu korrigieren oder anzupassen.“
„Während meine Recherchen fundiert sind, stehe ich für Stellungnahmen und ergänzende Informationen von Seiten der Polizei bereit. Ich veröffentliche gern eine Gegendarstellung oder Korrektur, sofern diese belegbar ist.“
„Gegendarstellung / Stellungnahme einreichen“: info(a)doginare.net
„Meine Motivation im globalen Diskurs zur Diensthundausbildung fußt auf fundierten Fachpublikationen – etwa in meinen Büchern ‘Die Moderne Diensthund-Ausbildung’ (2018) und Die Welt der Diensthunde im Schutzdienst (2024). Diese Werke spiegelten schon früh die Forderung nach tiergerechten Trainingsmethoden und Transparenz im Prüfungswesen wider. Die aktuelle Kritik ist demnach kein Schnellfleck, sondern eine konsequente Weiterführung einer langjährigen Debatte.“
„Sämtliche Thesen lassen sich in den entsprechenden Kapiteln belegen – gerne teile ich direkte Auszüge zur Prüfung.“
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