1️⃣ Das Premack-Prinzip setzt auf eine indirekte Verstärkung – ist das wirklich effektiv genug?
Das Konzept basiert darauf, dass ein stark motiviertes Verhalten ein weniger motiviertes Verhalten verstärken kann. Das klingt in der Theorie logisch, aber wie genau wird dabei die gewünschte Verhaltenskontrolle sichergestellt?
- Wenn der Hund nicht zuverlässig weiß, was die Verstärkung auslöst, kann das zu Verhaltensvariabilität führen.
- Die Erwartungshaltung kann Frustration auslösen. Ein Hund, der rennen will, kann das Sitzen vielleicht kurz aushalten, aber wenn sich das Muster ändert, kann es sein, dass er sich verweigert oder Alternativverhalten anbietet.
- Gibt es wirklich einen direkten Lerneffekt oder handelt es sich nur um eine temporäre Verhaltensanpassung? Ein Hund, der auf ein Signal sitzt, weil er danach losrennen darf, hat nicht zwangsläufig den „Wert“ des Sitzens verinnerlicht – er hält es nur für ein Hindernis zum Ziel.
👉 Frage: Wo ist der Beweis, dass der Hund tatsächlich gelernt hat, dass „Sitzen“ eine sinnvolle Handlung ist und nicht nur ein notwendiges Mittel zum Zweck?
2️⃣ In operanten Trainingskonzepten wird typischerweise mit präzisen Verstärkern gearbeitet – ist das Premack-Prinzip nicht zu vage?
Premack setzt darauf, dass natürliche Motivationen ausgenutzt werden. Aber ist das im Einsatz mit Hochleistungs-Spürhunden wirklich ideal?
- In der realen Welt kann der Hund nicht immer „seine Belohnung“ bekommen. Wenn ein Sprengstoffhund eine Anzeige zeigt, kann er nicht nach jeder Suche ein „selbstbelohnendes Verhalten“ wie Rennen oder Spielen erhalten.
- Was passiert, wenn das hoch motivierende Verhalten plötzlich nicht mehr angeboten werden kann? Ein Hund, der das Premack-Prinzip gelernt hat, könnte plötzlich unkooperativ werden, wenn die erwartete Verstärkung ausbleibt.
👉 Frage: Wenn der Hund nur deshalb gehorcht, weil er auf eine nachfolgende Handlung hofft, verliert das Verhalten dann nicht an intrinsischer Stabilität?
3️⃣ Unterscheidung zwischen Kontrolle und Motivation – ist Premack wirklich übertragbar?
- Spürhunde, Diensthunde oder Gebrauchshunde arbeiten oft unter Bedingungen, in denen ein Verhalten verlässlich abrufbar sein muss – unabhängig davon, ob eine Belohnung folgt oder nicht.
- Premack setzt auf Motivation, aber ignoriert die Notwendigkeit von echter Kontrolle. Wer garantiert mir, dass der Hund im Ernstfall nicht entscheidet, dass die Belohnungssituation „nicht passt“ und das Verhalten verweigert?
👉 Frage: Ist Premack nicht eher ein Trick aus der Verhaltenstherapie als eine ernsthafte Methode für den Arbeitshundebereich?
4️⃣ Der Punkt der Frustration – was ist mit Hunden, die durch Premack in eine Verweigerungshaltung geraten?
Wenn ich einen Hund jedes Mal erst sitzen lassen muss, bevor er sein Lieblingsspiel bekommt, könnte das in manchen Fällen auch dazu führen, dass er sich verweigert oder Übersprungsverhalten zeigt.
- Beispiel: Ein sehr triebstarker Hund möchte sofort in die Suche gehen. Wenn er gezwungen wird, erst ein „ungewünschtes“ Verhalten zu zeigen (z. B. ruhiges Warten), kann das Stress auslösen.
- Konsequenz: Frustration kann sich in unerwünschte Nebeneffekte verwandeln – Bellen, Hecheln, Unsicherheit oder gar eine generelle Arbeitsverweigerung.
👉 Frage: Gibt es Beweise, dass Premack bei stark triebgesteuerten Hunden zuverlässig ist und nicht zu Nebenwirkungen führt?
Fazit: Theoretisch interessant – aber ist es praxistauglich für den Hochleistungsbereich?
Das Premack-Prinzip ist nett für Freizeittrainer und trickorientierte Arbeiten, aber es hat Schwächen, wenn es um harte, zuverlässige Leistung geht. Ein Spürhund, Schutzhund oder Diensthund muss unabhängig von der Verfügbarkeit eines „Lieblingsverhaltens“ arbeiten können.
- In der Realität muss das Verhalten stabil genug sein, um auch ohne Motivation abrufbar zu bleiben.
- Was passiert, wenn das „hochfrequente Verhalten“ nicht mehr angeboten werden kann? Bricht das System dann zusammen?
👉 Meine skeptische Einschätzung: Premack kann eine nette Ergänzung sein, aber für den Hochleistungsbereich ist es zu unsicher und nicht strukturiert genug.
©Karl-Heinz Klöpper
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